Der Polizeichor Essen bot : Das Morgenrot, Kyrie, Über den Sternen

Volks­trau­ertag 2019

Klassen­un­ter­schied auch nach dem Tod
Auf dem Südwest­friedhof ruhen 2.878Tote der beiden Weltkriege und Opfer der Hitler-Diktatur

Aus der WAZ vom 16.11.2019: Von Gerd Niewerth

Die Erinne­rung an den Zweiten Weltkrieg überlappt die an den Ersten. Dies wird auch beim Besuch des Ehren­fried­hofs auf dem Südwest­friedhof in Fulerum deutlich. Nur Wenige Spazier­gänger verirren sich auf den Teil, auf dem die Toten des Krieges 1914–18 beigesetzt sind: 600 gefal­lene deutsche Soldaten und 121 auslän­di­sche Kriegs­ge­fan­gene. Sie ruhen in langen Reihen aus schlichten steinernen Kreuzen.

In Grab Nummer eins liegt der erst 19 Jahre Gefreite und Gymna­siast Alfred Garbe, laut Sterbeurkun­de damals wohnhaft in der Bis­marckstraße 31. „Anders als früher angenommen, ist er 1916 nicht im Lazarett in Essen gestorben, sondern bei einem Gasan­griff in Frank­reich gefallen”, berichtet Eberhard Sauer­brei. Die Familie hat den eigenen Sohn offenbar auf eigene Kosten heimgeholt.

Die Toten verteilen sich auf drei terras­sen­artig angelegten Ebenen, mitten­drin ein einsamer Obelisk für die Opfer des Infan­­terie-Regiments 190. Die mächtigen Eichen, die gewal­tigen Rhodo­­den­dren-Hecken, die vermoosten Stein­kreuze, der kurz gescho­rene Rasen — dieses sparsame Dekor verleiht dem Ehren­friedhof’ selbst im Sommer ein herbst­­lich-tristes Ambiente.

Gleich nach den Krieg umgebettet

Wer genau hinschaut, bemerkt die Klassen­un­ter­schiede, die vor gut hundert Jahren herrschen. Mit den langen Reihen unterm kleinen Stein­kreuz müssen die einfa­chen Gefal­lenen Vorlieb” nehmen: Gefreite und Muske­tiere, Wehrmänner und Füsiliere. Deutlich getrennt von ihnen ruhen die Offiziere in den Außenrei­hen: hier ein Leutnant und Haupt­mann, dort ein Fahnen­junker und Stabs­arzt. Ihre großen. Grabsteine zieren Ornamente aus Eichen­laub und Schleifen, dazu das Eiserne Kreuz.

Ein Teil dieses Weltkrieg-I-Ehren­frie­d­hofs ist den auslän­di­schen Kriegs­op­fern vorbe­halten: hier der Engländer Reginald Train (1895-­1917), dort der 1918 gefal­lene Franzose Francois Fonas­seur und der Italiener Giovani Daniela (1886–1917), dann Victor Stanis­laus und viele andere Russen. „Viele von ihnen waren verwundet und wurden mit den deutschen Kameraden vom Schlacht­feld mit den Lazarettzug nach Essen gebracht“, weiß Sauerbrei.

Gleich nach dem Versailler Vertrag 1919 fingen die Sieger aus England und Frank­reich damit an, ihre Toten umzubetten. Deshalb geht Sauer­brei davon aus, dass die Gräber der Engländer, Belgier und Franzosen tatsäch­lich Schein­gräber sind und nur aus optischen Gründen weiter existieren. Im Vergleich zu den betont liebe­voll und aufwändig gepflegten engli­schen Soldaten-Fried­höfen macht der Essener Ehren­friedhof auf Sauer­brei einen eher „rusti­kalen Eindruck“.

Der Ehren­friedhof ist ein Ort des stillen Geden­kens und des tausend­fa­chen Leids. Im weitaus größeren Teil ruhen mehr als 2.000 gefal­lenen deutsche Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg, 277 osteu­ro­päi­sche Zwangs­ar­beiter, 43 auslän­di­sche Kriegs­ge­fan­gene und 21 Essener, die in den KZs umkamen.

Das Denkmal mit der Skulptur de des knienden Jünglings, geschaffen vom Bildhauer Joseph Endeling, heißt „Trauer“. Der Sockel trägt die Inschrift „Gedenk­stätte der Stadt Essen – Für die Opfer von Krieg und Gewalt­herr­schaft“. Die breiten Wege drumherum haben sie zum Volks­trau­ertag von Moos und Unkraut befreit und gesäu­bert. Die Gedenk­ver­an­stal­tung am Sonntag (17. November) beginnt um 11 Uhr, die Toten­eh­rung nimmt OB Kufen vor.

Ansprache zum Volks­trau­ertag am 17. November 2019, 11.00 Uhr, auf dem Südwestfriedhof

Sehr geehrter Herr Oberbür­ger­meister, sehr geehrte Damen und Herren,

vor ein paar Jahre erzählte mir ein älterer Mann aus der Gemeinde, dass sein Vater im zweiten Weltkrieg an der Ostfront verschollen ist. Er selber hat keine bewussten Erinne­rungen mehr an ihn. Doch mit zuneh­mendem Alter wurden die Fragen nach dem vermissten Vater immer vorherrschender.

Ist er gefallen? Ist er in Gefan­gen­schaft geraten? Gehörte er zu den Heimkeh­rern, die an Entkräf­tung und Seuchen starben? Wurde er in einem der Massen­gräber verscharrt? Was geschah mit ihm?

Seine Recher­chen ergaben nur sehr dürftige Infor­ma­tionen. Er hoffte in Frankfurt/Oder, woher seine Familie stammt, eine Gedenk­tafel zu finden, die an die deutschen Opfer des Krieges erinnert. Laut seiner Aussage fand er sie weder in städti­schen noch kirch­li­chen Gebäuden. Das schmerzte ihn sehr.

„Es ist für mich unerträg­lich“, sagte er, „dass es keinen öffent­li­chen Ort gibt, an dem ich und andere Angehö­rige unserer verschol­lenen Famili­en­mit­glieder gedenken können. Mich bewegt seine Geschichte. Die Suche nach dem fehlenden Vater und die Suche nach dem Ort öffent­li­chen Geden­kens in seiner Heimatstadt.

Wir brauchen Orte des Geden­kens, privat und auch als Kollektiv, als Gemeinde, als Stadt, als Land. Diese Orte geben den vermissten Menschen wenigsten einen Teil ihrer Würde zurück. Und sie machen deutlich: Sie sind nicht vergessen!

Der ältere Herr stammt aus der Kirchen­ge­meinde Königs­steele. Das Presby­te­rium hat seine Geschichte zum Anlass genommen, in der Friedens­kirche in Steele eine Gedenk­tafel anzubringen. Darauf stehen die Worte:

„Ein Ort zum Verweilen –

zum Nachdenken und Erinnern

Im Gedenken an die Opfer von

Krieg-Gewalt-Willkür-Terror-Rassen­­hass

(Jesus sagt:) Im Abschied gebe ich euch den Frieden, meinen Frieden

nicht den Frieden, den die Welt gibt“. Johannes 14,27

Ich erlebe immer wieder Menschen, die hier stehen bleiben und eine Kerze im Gedenken anzünden. Wenn Jesus von seinem Frieden spricht, den er uns hinter­lässt, schwingt darin alles mit, was in seiner aramäi­schen Mutter­sprache das Wort für Frieden „Schalom“ meint: Wohlergehen, Heil, Unver­sehrt­heit, Gesund­heit, Sicher­heit, Frieden, Ruhe. Frieden in diesem umfas­senden Sinn bleibt unser aller Auftrag.

„Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“, so hat der Ökume­ni­sche Rat der Kirchen kurz nach dem II. Weltkrieg 1948 in Amsterdam formuliert.

Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein. Das war auch ein Lernpro­zess für die Kirchen, die im ersten und zweiten Weltkrieg Waffen gesegnet haben. Der Tag heute mahnt, Krieg nicht als unabwend­bares Schicksal zu sehen, ihn nicht voreilig als Mittel der Außen­po­litik einzu­setzen, um von innen­po­li­ti­schen Schwie­rig­keiten abzulenken, sei es in Europa, sei es weltweit.

Nach dem zweiten Weltkrieg waren sich die meisten Völker einig: Wir wollen alles unter­nehmen, um Krieg zu verhin­dern. Wir wollen die Gemein­schaft unter den Völkern stärken. Und wir müssen Insti­tu­tionen schaffen, die Konflikte auf gewalt­freien Wegen lösen. Es war dieser Friedens­wille, aus dem die Idee der europäi­schen Einigung entstanden ist. Und der zur Gründung der Vereinten Nationen führte. Wir können heute dankbar dafür sein, dass die Kriegs­gegner seit 1945 in Frieden leben und aus Feinden auch Freunde geworden sind.

Die Mahnung zum Frieden und zur Versöh­nung ist bei aller Verän­de­rung der Erinne­rungs­kultur bis heute die zentrale Botschaft des Volks­trau­er­tages. „Erinne­rung ist Wachsam­keit für Gegen­wart und Zukunft“, haben Sie auf die Einla­dung zu dieser gemein­samen Feier­stunde geschrieben.

Den Volks­trau­ertag sollten wir noch stärker als Friedens­ge­denktag hervor­heben, um deutlich zu machen: Wir wollen alles tun, was dem Frieden dient und gemeinsam nach Lösungen suchen. Auch um mehr junge Leute anzuspre­chen, für die der Volks­trau­ertag in seiner jetzigen Form so gut wie keine Bedeu­tung mehr hat.

Der Volks­bund deutscher Kriegs­grä­ber­für­sorge, der in diesem Jahr 100 Jahre alt wird, führt seit Mitte der 50ger Jahre inter­na­tio­nale Jugend­be­geg­nungen und Workcamps in ganz Europa durch unter dem Motto: „Versöh­nung über den Gräbern — Arbeit für den Frieden“. Ca 20.000 Jugend­liche und junge Menschen nutzen jährlich diese Angebote. Was für ein hoffnungs­volles Zeichen!

Friedens­wege sind oft steinige, unbequeme Wege. In Konflikten heißt es: Hinschauen, hinhören, nach Wegen suchen. Für Chris­tinnen und Christen (gläubige Menschen) ist der Glaube eine wichtige Kraft­quelle zum Frieden und zur Versöhnung.

In seiner Antritts­rede als Bundes­prä­si­dent sagte der Essener Gustav Heine­mann am 1. Juli 1969 und damit möchte ich schließen:
„Ich sehe als erstes die Verpflich­tung, dem Frieden zu dienen. Nicht der Krieg ist der Ernst­fall, in dem der Mann sich zu bewähren habe, wie meine Genera­tion in der kaiser­li­chen Zeit auf den Schul­bänken lernte, sondern der Frieden ist der Ernst­fall, in dem wir alle uns zu bewähren haben. Hinter dem Frieden gibt es keine Existenz mehr.“

Heiner Mause­hund, Pfarrer

stellv. Super­in­ten­dent des Kirchen­kreises Essen

Einigkeit und Recht und Freiheit
Einig­keit und Recht und Freiheit
Vom Musikzug der Feuerwehr hörte man: Wer unterm Schutz des Höchsten steht, Alles meinem Gott zu Ehren, Ich hatt´ einen Kameraden
Vom Musikzug der Feuer­wehr hörte man: Wer unterm Schutz des Höchsten steht, Alles meinem Gott zu Ehren, Ich hatt´ einen Kameraden
Soldatenfriedhof
Solda­ten­friedhof
Der Polizeichor Essen bot : Das Morgenrot, Kyrie, Über den Sternen
Der Polizei­chor Essen bot : Das Morgenrot, Kyrie, Über den Sternen
Pfarrer Heiner Mausehund bei seiner Rede
Pfarrer Heiner Mause­hund bei seiner Rede
Thomas Kufen, Oberbürgermeister der Stadt Essen
Thomas Kufen, Oberbür­ger­meister der Stadt Essen
Auftritt beim Volktrauertag 2019
Auftritt beim Volkt­rau­ertag 2019
Pfarrer Heiner Mausehund
Pfarrer Heiner Mausehund